Der gebürtige Brittnauer Patrick «Pidi» Leuenberger blickt in seiner Wohnung, die voller Sammlerstücke der Hardrock-Band ist, auf die letzten 40 Jahre zurück – ein Tag vor dem womöglich letzten Konzert, das er mit seiner Lieblingsband erleben wird.
Die Gestalten fallen stark auf mit ihren schwarzweiss geschminkten Fratzen, buschigen Perücken und dunklen Outfits mit Metallplatten, Nieten und Ketten. Sie könnten auf manches Kind einen gruseligen Eindruck machen, aber nicht auf den etwa achtjährigen Pidi. Als er sie zum ersten Mal sah – auf Postern im Zimmer seines Cousins – war er sofort ergriffen. «Es war Anfang der 80er-Jahre, vielleicht auch 1979», erinnert sich Patrick «Pidi» Leuenberger heute. Als sein Cousin dann noch ihre Musik abspielte, war es um ihn geschehen: Fortan entwickelte sich der Bub zu einem der grössten Fans der US-amerikanischen Hardrock-Band Kiss.
Heute ist der gebürtige Brittnauer 49 Jahre alt und wohnt in Zofingen. Als er das ZT in seiner Wohnung willkommen heisst, fallen als Erstes die zahlreichen Kiss-Poster an den Wänden auf. Diese und das, was im Wohnzimmer und in der Küche folgt, sind das Ergebnis von vier Jahrzehnten Leidenschaft für die im Jahr 1973 gegründete Kult-Band um Gene Simmons und Paul Stanley (die übrigen Mitglieder wechselten im Laufe der Jahre).
Leuenbergers Sammlung beginnt mit einem Gestell, das er exklusiv für Kiss-Schallplatten reserviert hat, deren zirka 450 – darunter jede mögliche Ausfertigung der bis heute 20 veröffentlichten Alben, seien es Deluxe-, limitierte oder ausländische Versionen. Hinzu kommen sogenannte Test-Pressings. Das sind Kopien einer Platte, die nicht für die Öffentlichkeit, sondern für interne Zwecke des Labels gedacht sind – bei Fans äusserst begehrt. Überdies besitzt Leuenberger mehrere eingerahmte Goldplatten, bei denen das Glas von Bandmitgliedern signiert wurde, teils mit der Aufschrift «To Pidi».
Mikrofonschwämme mit Make-up-Resten
«Kiss ist eine Band, die unheimlich viel Merchandise herausgegeben hat», sagt er. Da die Produkte jeweils nur für eine gewisse Periode verfügbar sind – meist im Rahmen einer Album-Veröffentlichung oder Welt-Tournee –, sind sie bei Sammlerherzen sehr begehrt und von hohem Wert. Leuenberger besitzt unter anderem Make-up-Kits, Haarkämme, Ketten, Kissen, Kaugummipackungen, PEZ-Spender, Getränkedosen, Becher und Figuren von Kiss. Überdies hat er ehemalige Gegenstände der Band, die sie beispielsweise während eines Konzerts ins Publikum geworfen hat: zahlreiche Gitarrenpicks, Teile von Kostümen, Mikrofonschwämme mit Make-up-Resten oder ein Drumstick des ehemaligen Bandmitglieds Peter Criss.
Übrigens ist Pidi Leuenberger selbst Schlagzeuger und in zwei Bands aktiv – Rams aus Zürich sowie Lucy Four aus Zofingen. «Ich habe den Drumstick einem Fan abgekauft, der ihn nicht mehr benötigte und das Geld brauchte, weil er krank war», sagt Leuenberger. Und weil er damit jemandem helfen konnte, sei er bereit gewesen, viel Geld für den Stick zu bezahlen – wie viel, möchte er lieber nicht verraten. «Viele Dinge in meiner Sammlung wurden mir von Fans aus der ganzen Welt geschenkt oder verkauft», erzählt er.
Ihm selbst sei es an keinem Konzert der Band gelungen, so ein Objekt zu ergattern. Dafür kam es zu einem Treffen mit den Mitgliedern von Kiss, und zwar während eines Meet-and-Greets nach einem Konzert im Jahr 2013 im Hallenstadion in Zürich. «Ein Freund von mir, der da mitgearbeitet hat, nahm mich backstage», erzählt er. Und so habe er spontan die Gelegenheit bekommen, gratis ein Foto mit der Band zu machen.
Als «Lohn» namentlich erwähnt worden
Ein weiterer Freund, Tom Jermann, ist der langjährige Graphic Designer der Band. Er ist unter anderem der Kopf hinter der Gestaltung der Album-Cover. Leuenberger erklärt: «Wir waren beide zur gleichen Zeit im Tessin in den Ferien und hatten uns über die sozialen Medien zu einem Bier verabredet.» Der in Südfrankreich wohnhafte Schweizer steht seither in engem Kontakt mit Leuenberger, der ihm einige Dinge wie Tournee-Bücher aus seiner Sammlung zur Verfügung gestellt hat, unter anderem im Jahr 2021 für die «Super Deluxe Edition» des Albums «Destroyer» – anlässlich des 45-Jahr-Jubiläums. Das habe Leuenberger unentgeltlich gemacht. «Der Lohn ist, mit Namen in einer offiziellen Veröffentlichung von Kiss erwähnt worden zu sein», sagt er stolz.
Im Laufe der 40 Jahre hat Pidi Leuenberger zahlreiche weitere Kontakte in der Fan-Gemeinde knüpfen können, vor allem, seit es das Internet gibt. «Mit einigen Fans habe ich Freundschaft fürs Leben geschlossen», sagt er. Die wohl engsten sind zwei aus Deutschland, die er bis heute mindestens ein Mal jährlich trifft, sei es dort oder in der Schweiz. «Meistens kombinieren wir unsere Ferien mit dem Besuch eines Kiss-Konzerts», sagt Leuenberger. Einmal seien sie aber auch einfach ins Volkshaus Zürich gegangen, um auf der Bühne zu stehen, wo ihre Helden dereinst aufgetreten waren.
Wie viele Konzerte von Kiss er schon miterlebt hat, weiss Pidi Leuenberger nicht. Sein erstes sei im Jahr 1996 in Donington, England, gewesen. Später besuchte er viele weitere in Europa, aber auch in der Schweiz, das letzte Mal 2019 im Hallenstadion in Zürich, und zwar im Rahmen der aktuellen Abschiedstournee der Band. «Und morgen gehe ich an ihr zweites Zürcher Konzert dieser Tournee», sagt er (das Konzert vom Donnerstag, 7. Juli, Anm. der Redaktion). Wie er sich wohl fühlt, einen Tag vor seinem womöglich letzten Konzert seiner Lieblingsband? Dass es irgendwann vorbei sein wird, darauf habe er sich schon lange eingestellt. Eigentlich hätte er nie erwartet, die Band 2022 noch auf der Bühne zu sehen.
Die Band wird nie wirklich weg sein
«Die Herren sind über 70 Jahre alt», fährt er fort. Es sei schon erstaunlich, dass sie noch so gut in Form seien. Das Erscheinungsbild sei zudem auch noch dasselbe. «Dank dem Make-up sieht man die Falten nicht», fügt er lachend hinzu. Aber? «Die Stimmen altern, der Körper kann nicht mehr so wie früher – das merkt man. Dementsprechend werde das mit viel Feuer, Licht und sonstigem Spektakel kompensiert, so Leuenberger. Traurig sei er also nicht. Die Band, die Geschichte geschrieben hat – mit mehr als über 100 Millionen weltweit verkauften Platten zählt sie zu den erfolgreichsten Rock-Bands aller Zeiten –, werde nie wirklich weg sein.
Was Pidi Leuenberger während des Gesprächs mehrmals bemerkt: Er nehme Kiss nicht allzu ernst. «Wer kann das schon bei dieser extravaganten Erscheinung?», sagt er scherzend. «Sie waren über viele Jahre hinweg ein grosser und wichtiger Bestandteil meines Lebens», sagt er. Aber er sei auch älter geworden: mit der Familie kamen viele Verpflichtungen und die Band trat ein klein wenig in den Hintergrund. «Mir macht es einfach Spass, diese Dinge zu sammeln, mehr nicht», sagt Leuenberger.
Ilir Pinto
30-Jähriger aus Zürich, der die Diplomausbildung Journalismus am MAZ in Luzern mit einem Volontariat beim Zofinger Tagblatt absolviert hat. Aktuell ist er Redaktor und Content Creator bei der Zürcher Kommunikationsagentur Viva.
Related Posts
May 31, 2023
Todbringende Schlange
Sticky
Am 24. Februar 2022 überfiel Russland sein Nachbarland, die Ukraine und…
January 4, 2023
Die Prophezeiungen der Emma Kunz
Brittnau war Ende des 19. Jahrhunderts eine kleine landwirtschaftlich geprägte…
December 31, 2022
Eine Tonne im Kunsthaus
Vom August bis September 2017 gaben die 25 Glocken des Stiftsturmes in der…
November 30, 2022
Nahe bei Gott und nahe beim Menschen
Vier Brandfälle sowie zwei Überschwemmungen hat Max Hartmann in seiner Laufbahn…