Im Sommer 1990 reiste Esther Dubler mit dem Zofinger Kammerchor nach Italien, um als Teil eines internationalen 3000-Kopf-Chors in der Arena von Verona das Verdi-Requiem zu singen – unter anderem gemeinsam mit dem legendären Opernsänger Luciano Pavarotti.
Es war ein Spektakel, das sich im Sommer 1990 in der Arena von Verona abspielte: eine einzigartige Aufführung der Messa da Requiem von Giuseppe Verdi. Es sangen vier namhafte Solistinnen und Solisten: Sharon Sweet, Dolora Zajick, Paul Plishka und kein Geringerer als der legendäre Luciano Pavarotti. Begleitet wurde das Konzert vom Moscow Philharmonic Orchestra. Das Aussergewöhnliche: Ein Chor aus 3000 Sängerinnen und Sängern aus der ganzen Welt sang mit. Jede und jeder von ihnen hatte damit eine Gelegenheit bekommen, die es wohl nur ein Mal im Leben gibt. Eine von den Glücklichen war Esther Dubler aus Zofingen. «Es waren damals zirka 60 Personen aus der Schweiz, davon waren 18 Mitglieder des Zofinger Kammerchors», sagt die 72-Jährige.
Den Chor hatte sie im Jahr 1986 gemeinsam mit dem Dirigenten André Aerschmann gegründet, um klassische Werke aufzuführen. «Wir hatten bis zu unserer Auflösung im Jahr 1995 unzählige Auftritte, sogar in Frankreich und Deutschland», sagt Dubler. In den Chor aufgenommen worden seien nur Sängerinnen und Sänger, die Leistungen «auf hohem Niveau» erbringen konnten. Je nach Werk stellte er sich neu auf: Im Jahr 1989 stand das Verdi-Requiem auf seinem Programm. Kritiker lobten damals die Leistung des Zofinger Kammerchors an den Vorführungen in der katholischen Kirche Gelterkinden sowie in der Zofinger Stadtkirche.
Wie es der Zufall so wollte – vielleicht war es auch Schicksal –, stiess Dubler im Jahr darauf auf eine Annonce: Gesucht waren weltweit 3000 Sängerinnen und Sänger, die am 4. und 5. August 1990 im Rahmen des 68. Festivals der Arena von Verona unter dem Namen «World Festival Choir» das Verdi-Requiem unter der Leitung von Lorin Maazel aufführen sollten. «Wir konnten das Verdi-Requiem ja bereits», sagt Dubler. Das sei eine Voraussetzung gewesen, denn das anspruchsvolle Stück lasse sich nicht von heute auf morgen einstudieren. Dementsprechend bestand der Zofinger Kammerchor das Casting und am 28. Juli 1990 ging die Reise los. Die Kosten für den Car sowie den anschliessenden Hotelaufenthalt habe jeder aus der eigenen Tasche bezahlen müssen – eine eigentliche Gage gab es keine. Überdies mussten anderthalb Wochen Abwesenheit am Arbeitsplatz in Kauf genommen werden, denn vor Ort wurde während der Tage bis zum Konzert intensiv geprobt.
In den Köpfen schwirrte nur der grosse Auftritt
Von Ferien konnte nicht die Rede sein. «Weil es tagsüber so heiss war, probten wir frühmorgens – oder mitten in der Nacht», erinnert sich Esther Dubler. Die Temperatur im Schatten betrug tagsüber 45 Grad. Zwar habe die Gruppe tagsüber die Gegend erkunden können und ein Ausflug nach Venedig sei auch dringelegen, doch in ihren Köpfen schwirrte nur eins: der grosse Auftritt. Und es ging dabei niemandem darum, im Rampenlicht zu stehen: In der Schar der Sängerinnen und Sänger – die Distanz von der rechten bis zur linken Seite des Chores betrug fast 100 Meter und von der obersten Chorreihe zum Dirigenten 60 Meter – konnte man ohnehin keine bestimmte Person ausmachen.
Auch war ein Gespräch mit «Big Luciano» höchstpersönlich kaum möglich. Übrigens: Der im Jahr 2007 verstorbene Tenor hält einen Weltrekord. Nach einem Auftritt in Berlin im Jahr 1988 rief das Publikum den italienischen Opernsänger 165-mal vor den Vorhang. Ihm wurde dabei während 67 Minuten ununterbrochen applaudiert. «Einige schafften es damals in Verona, ihm die Hand zu schütteln und ein Autogramm zu ergattern», erzählt Esther Dubler. Die Zofingerinnen und Zofinger seien aber leise Fans gewesen und hätten sich zurückgehalten. Der Aufwand, die Zeit und die Kosten seien das unvergleichliche Erlebnis wert gewesen, so Dubler.
«Ein unvergessliches Spektakel»
Weil sie eine tiefe Stimme hat, sang Esther Dubler Tenor, was für Frauen unüblich ist. «Obwohl ich mich als Tenor angemeldet hatte, wollte man mich vor Ort nicht mit den Männern singen lassen.» Mit der Unterstützung ihres Chors konnte sie sich aber durchsetzen. «Das haben wir uns nicht gefallen lassen!», sagt sie. Die einzige Bedingung: Sie habe einen Smoking tragen müssen, um in der Schar ausschliesslich männlicher Tenore nicht aufzufallen. Die Sänger mussten dunkle Anzüge mit Fliegen tragen, die Sängerinnen hingegen weisse Blusen mit Jupes.
Dubler besitzt noch heute die Partitur, die sie damals verwendet hat, sowie diverse italienische Zeitungsartikel zur grossen Show. «Tremila voci per Pavarotti» – «3000 Stimmen für Pavarotti» – lautete die Schlagzeile einer italienischen Tageszeitung. Das Publikum bestand jeweils aus 22 000 Zuschauerinnen und Zuschauern, zu denen am ersten Abend auch Lady Diana zählte. Eine andere Schlagzeile hiess: «Uno spettacolo indimenticabile»; ein Teil dieses «unvergesslichen Spektakels» gewesen zu sein und es miterlebt zu haben, rührt Esther Dubler noch heute. «Das Bild vom Sonnenuntergang am Abend während des Auftritts mit der Schar von Sängerinnen und Sängern in der vollen Arena hat sich für immer in mein Gedächtnis eingeprägt», sagt sie.
Ilir Pinto
30-Jähriger aus Zürich, der die Diplomausbildung Journalismus am MAZ in Luzern mit einem Volontariat beim Zofinger Tagblatt absolviert hat. Aktuell ist er Redaktor und Content Creator bei der Zürcher Kommunikationsagentur Viva.
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