Der gefeierte Zofinger Komponist Dieter Ammann erzählt, wie es ihm während der Pandemie ergangen ist – und woran er gerade arbeitet.

Im Jahr 2020, dem Corona-Jahr, blieb es relativ ruhig um Dieter Ammann. Konzerte, an welchen seine Musik hätte gespielt werden können, gab es nämlich keine. Um zu erfahren, was er gerade macht, hat das ZT ihn in einem Haus in Zofingen besucht. Im Jahr 2019 wurde das Klavierkonzert «Gran Toccata», das er für Andreas Haefliger geschrieben hatte, an den Proms in London uraufgeführt und feierte danach Premieren in London, Boston, Taipeh, Helsinki und München – begleitet von einigen der besten Orchester der Welt. «Live-Konzerte sind der beste Weg, Neue Musik zu geniessen, besonders für Einsteiger», sagt Ammann.

Dieter Ammann in seinem Arbeitszimmer im Dachgeschoss. Bild: Ilir Pinto

Corona habe sich auch negativ auf seine Produktivität ausgewirkt. Unter anderem komponiert er seit längerem ein Bratschenkonzert. Diesen sowie weitere Aufträge habe er im letzten Jahr um eine Saison verschoben. Dabei hat er sich selbst keinen Gefallen getan. Er erklärt: «Die Musik muss originär und originell sein. Ich finde, das ist die einzige Legitimation, die die Kunstmusik hat – dass sie etwas darstellt, das es so nicht gibt. Für mich ist das harte Arbeit.» Dann denkt er kurz nach, schmunzelt und gibt zu: «Deshalb versuche ich sie manchmal zu umgehen, indem ich prokrastiniere.»

«Ich bin kein Hyperavantgardist»

Ammanns musikalischer Ursprung liegt in der Groove-Musik. Im Alter von 30 Jahren ist er «beinahe zufällig» durch einen ersten Auftrag zum Komponieren gekommen. «Ich versuche, Musik von solcher Qualität zu schreiben, dass sie auch in Zukunft noch gespielt und gehört wird», sagt er. Unterscheidet sich seine Musik also so sehr von aller anderen? Er antwortet:

Was unterscheidet die Klassische von der Zeitgenössischen bzw. Neuen Musik? «Das Gestaltungsmittel von Klang und dass man alles in eine schlüssige musikalische Form bringt, ist noch ähnlich wie früher.» Ein wesentlicher Unterschied sei, dass man in der Neuen Musik auch mit Geräuschen arbeite und oft keine konkrete Tonart höre. «Bei Haydn und Mozart waren Ton- und Taktarten, Melodiebildung, ja die ganzen Formen dieselben. Heute klingt jeder Komponist ganz anders, denn es gibt kein verbindliches Material mehr.» Die Frage sei nicht mehr bloss, was, sondern auch womit man komponiere.

Wie sieht denn ein Tag im Leben dieses Zofinger Komponisten aus? Er erzählt: «Ich stehe immer so spät auf, da ist meine Frau bereits seit Stunden am Arbeiten. Ich leide an sogenannter Fibromyalgie. Wenn ich aufstehe, nehme ich Schmerzmittel, woraufhin es eine Weile braucht, bis sie wirken und ich mit der Arbeit beginnen kann. Meistens ist es dann schon 13 Uhr. Ich glaube, dass ich produktiver werde, je später es wird.»

Er arbeitet meist nachts im Dachgeschoss. Dort steht ein grosser Flügel, auf dem viele Partituren liegen sowie Radiergummis, Bleistifte und ein Geodreieck:

Wenn die Komposition ein Eigenleben entwickelt

«Ich brauche kein Computerprogramm», sagt Ammann. Er komponiert seine Stücke ausschliesslich von Hand. Das machen die wenigsten Komponisten heutzutage. Er zeigt einige Partituren mit Noten, die er kürzlich geschrieben hat – Ammann hat es aus der Prokrastination herausgeschafft und schreibt wieder. Denn die Zeit läuft, das Bratschenkonzert mit Nils Mönkemeyer soll im Oktober 2022 in Basel uraufgeführt werden. Auch freut er sich auf die Schweizer Premiere seines Klavierkonzertes im August 2022 am Lucerne Festival und sagt: «Wenn man so lange an einem Werk arbeitet, ist es ein wunderbares Gefühl, wenn die Komposition ein Eigenleben entwickelt und von vielen Interpreten in aller Welt aufgeführt wird.»