Rund 900 Eier werden jedes Jahr in der Reptilienzuchtanlage Lorica in Zofingen gelegt und gebrütet. Simone Piovan, Inhaber und Geschäftsführer, erzählt seine Geschichte und wie es dazu kam, dass die Zucht in der Schweiz zur Normalität wurde.
Es sind insgesamt 45 Behälter aus Styropor, die aneinandergereiht in den Regalen stehen. Jeder von ihnen verfügt über ein kleines Display, auf dem die Temperatur angegeben ist, die im Innern herrscht. Es handelt sich um Inkubatoren. «Wir nennen diesen Raum hier unsere ‹Brutkammer›», sagt Simone Piovan.
Er nimmt einen der Behälter vom Regal herunter, stellt ihn sorgfältig auf den Arbeitstisch und öffnet ihn. Es befinden sich mehrere kleine Boxen aus Plastik darin, die viele winzige Eier enthalten. Kürzlich sind Zwergbartagamen geschlüpft. Die Kleinen zappeln bereits voller Energie.
Zwergbartagamen legen bis zu drei Mal im Jahr. Dagegen legt beispielsweise der Königspython nur ein Mal. Aus diesem Grund wird eigentlich das ganze Jahr über gebrütet in der Reptilienzuchtanlage Lorica an der Henzmannstrasse in Zofingen. Trotzdem ist etwa von Mitte April bis Mitte August Schlüpf-Saison. «Dieses Jahr hatten wir rund 900 Eier», sagt Geschäftsführer Simone Piovan. Das sei normal. Aus 80 Prozent davon schlüpfen lebende und gesunde Jungtiere.
Einen grossen Einfluss auf das Ergebnis der Zucht hat das Wetter: Zwar herrschen in den Terrarien ganz andere Bedingungen als draussen, die Tiere spüren aber Hoch- und Tiefdruck. Das Wetter kann Simone Piovan nicht beeinflussen, dafür das Paarungsverhalten. «Ich bin nach Afrika und Asien gereist, um die Tiere in der Wildnis zu beobachten und daraus zu lernen», sagt der Terrarianer. So nennt man Menschen, die in der Terraristik-Szene aktiv sind.
Piovan kennt den Zuchtschlüssel für alle Arten, die er züchtet – das heisst, was zu tun ist, um die Tiere auf die Paarung vorzubereiten. Er sagt: «Die Winterstarre ist sehr wichtig, genauso wie die Jahreszeiten.» Zu jeder Jahreszeit müssen Temperatur, Licht und Luftfeuchtigkeit im Terrarium stimmen. Zudem muss man den Tieren die richtige Nahrung in der richtigen Menge verfüttern. Ist die Paarung gelungen und sind die Eier gelegt, werden diese aus den Terrarien entnommen und in die Brutkammer gebracht. «Die meisten Reptilien sind kannibalistisch veranlagt», erklärt Piovan. Das heisst, die Eltern könnten auf die Idee kommen, ihre Babys zu fressen.
Er führt das Unternehmen nicht, weil es lukrativ ist
Lorica ist die grösste Reptilienzuchtanlage der Schweiz. Das Unternehmen beliefert hauptsächlich Zoofachgeschäfte mit Tieren wie Reptilien, Amphibien und Arachniden. Simone Piovan gründete das Unternehmen im Jahr 2011 zusammen mit Fabian Boffa, dem Sohn von Rolf Boffa. Das ist der damalige CEO von Qualipet, dem Marktführer des Schweizer Zoofachhandels. Qualipet unterstützte die Gründung von Lorica finanziell und hielt dafür den gesamten Anteil am Aktienkapital. Gleichzeitig war und ist sie noch heute die grösste Kundin von Lorica.
Heute ist Piovan der alleinige Inhaber. Er führt das Unternehmen nicht, weil es lukrativ ist, sondern aus Überzeugung. Seine Abneigung gegen die Einfuhr solcher Tierarten entwickelte sich nach einem Vorfall im Jahr 2006. Damals war er 27 Jahre alt. An einem Tag im Sommer begab er sich in ein Zoofachgeschäft, dessen Namen er hier nicht nennen möchte. Er bekam die Gelegenheit, die Ankunft eines Massenimports von Dornschwanz-Agamen mitzuerleben. «Es stank ungeheuerlich», sagt er. Ein grosser Teil der Lieferung kam tot an.
Simone Piovan erfuhr nach dem Vorfall, dass es üblich ist, dass ungefähr 80 Prozent der Reptilien vom Moment des Wildfangs an bis zur Ankunft im Zoofachgeschäft verenden. Einfach so. Er konnte Massenimporte moralisch nicht mehr vertreten, wollte aber seine Begeisterung für Terraristik nicht aufgeben. Also begann er damit, seine Reptilien selbst zu züchten. Er merkt jedoch an: «Nur wenn der Import mit der Absicht stattfindet, einen Schweizer Zuchtstamm zu etablieren, ist es okay.» Für nicht gefährdete Arten gilt aber damals wie heute: Massenimport ist erlaubt. Piovan entschloss sich aber, einen Umdenkungsprozess ins Rollen zu bringen. Die Zucht von Reptilien musste in der ganzen Schweiz zur Normalität werden.
Dornschwanz-Agamen
Das Reptil kommt aus Nordafrika, hat kurze Beine, lange Krallen und einen kleinen Kopf mit
herabhängenden Hautlappen am Hals. In der Bauchgegend ist es breit, sein Rücken platt. Das
auffälligste Merkmal ist ein langer Schwanz, dessen Schuppen ausgeprägte Stacheln haben.
Dieser gibt der Art ihren Namen: Dornschwanz-Agame. Oder lateinisch: Uromastycinae. Das
ist eine Unterfamilie der Agamen. Die genaue Art der Tiere im Bild heisst Uromastyx geyri.
Er machte sich teilweise keine Freunde
Am Anfang besuchten Piovan und seine Mitarbeitenden alle Zoofachgeschäfte der Schweiz und klärten sie über die Vorteile der Zucht gegenüber Massenimporten auf: Es entsteht kein Tierleid, weil die Tiere nicht aus der Natur entnommen und um die halbe Welt transportiert werden. Zudem haben sie ein stressfreies Leben, denn sie gewöhnen sich von Geburt an Terrarien und Menschen. Ausserdem reisten Terrarianerinnen und Terrarianer aus der ganzen Schweiz nach Zofingen, um die Kurse mit lebenden Tieren bei Lorica zu besuchen. «Wir waren oft komplett ausgebucht», sagt Piovan. Es entstand ein Bewusstsein dafür, warum man für gezüchtete Tiere mehr bezahlen soll. Es gab auch Widerstand. «Ich vermieste vielen Händlern ihr Geschäft», sagt er. Einmal habe er sogar einen Drohbrief erhalten. Innert zehn Jahren gelang die Umstellung. «Massenimporte, obwohl noch legal, finden heute in der Schweiz so gut wie gar nicht mehr statt», sagt Simone Piovan. Die Schweiz sieht er als ein Vorbild für ganz Europa.
Überzeugungsarbeit muss Piovan heute nicht mehr leisten, dafür züchtet er mittlerweile um die 140 Arten. Seine Mitarbeitenden kontrollieren die Inkubatoren täglich, dokumentieren den Verlauf des Brütens und entfernen Jungtiere vier bis acht Stunden nach dem Schlüpfen. Dann kommen sie für bis zu 40 Wochen in ein Terrarium. «Sobald ihr Geschlecht erkennbar ist und sie stabil sind, geben wir sie für den Verkauf frei», sagt Simone Piovan. Und 10 bis 20 Prozent der Brut behält er jeweils. Diese braucht er, um weiter zu züchten.
Ilir Pinto
30-Jähriger aus Zürich, der die Diplomausbildung Journalismus am MAZ in Luzern mit einem Volontariat beim Zofinger Tagblatt absolviert hat. Aktuell ist er Redaktor und Content Creator bei der Zürcher Kommunikationsagentur Viva.
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