Zu Besuch im Atelier des Oftringer Comicautors Matthias Gnehm – er hat kürzlich seine elfte Graphic Novel veröffentlicht.

Im Atelier von Matthias Gnehm fühlt man sich geradezu in einen Comic versetzt. 640 Seiten eines Comicbuchs hängen an den Wänden. Die einzelnen Streifen sind schmal, jeder enthält nur eine Spalte Panels. Ein Panel ist ein Bild in einem Comic. Normalerweise liest man sie von links nach rechts. Diesen Comic aber liest man von oben nach unten. Das ungewöhnliche Format lässt sich gut auf einem Smartphone abbilden. Im Buch hat es einen QR-Code, damit man es auf seinem Handy abrufen kann. «Gläserne Gedanken» heisst das neue Werk des Oftringers. Momentan hängt es in seiner Gesamtheit an den Wänden des Ateliers in Zürich-Wiedikon. Es ist seine elfte Graphic Novel. Eine solche unterscheidet sich von einem Comic, indem sie thematisch und literarisch komplexer ist.

«Ich wusste schon früh, im Alter von 14 Jahren, dass ich Comicautor werden wollte», sagt der 52-Jährige. In der Zofinger Buchhandlung Mattmann (der heutigen Leserei) hat er seine ersten Comics bezogen. Dabei nennt er Titel wie «Asterix» oder «Tim und Struppi» aus Frankreich beziehungsweise Belgien. Nicht viel später, während seines Studiums, sei er mit Graphic Novels in Berührung gekommen. Studiert hat Gnehm Architektur, und zwar in Zürich, wo er seit dem Alter von 22 Jahren lebt. Er war, ist aber heute nicht mehr als selbstständiger Architekt tätig.

Warum Gnehm auf Farben verzichtet

Ähnlich wie bei «Maus», einer berühmten amerikanischen Graphic Novel, die Gnehm im Gespräch erwähnt, ist auch «Gläserne Gedanken» in schwarz-weiss gezeichnet, ebenso sein Werk «Die Bekehrung» aus dem Jahr 2008. Darin diente Oftringen als Schauplatz. Gnehm hat aber auch farbige Graphic Novels produziert. Er erklärt: «Wenn ich an einem Buch arbeite, frage ich mich: Tragen die Farben etwas bei?» Da «Gläserne Gedanken» stark von der inneren Gefühlswelt der Hauptfigur, Markus Hug, handelt, hat er sich dafür entschieden, auf Farben zu verzichten. «Es gibt Dinge, die in schwarz-weiss besser zur Geltung kommen», sagt er.

Gnehm beschreibt die Handlung von «Gläserne Gedanken» als ein ineinander verwobenes Dreieck. Zum einen ist da die Beziehung zwischen Markus und seiner Partnerin Annina; die beiden leiden unter dem dauernden Brüllen ihres neugeborenen Sohnes Andreas. Zum anderen ist da Markus’ Arbeit als Autor und die Konfrontation mit einer mysteriösen App, welche angeblich Gedanken in geschriebenen Text umwandeln soll. Hinzu kommt Markus’ verstorbener Vater, dessen Vergangenheit Fragen aufwirft. Auf der Suche nach Spuren begibt sich Markus in die fiktive Stadt Zoldingen. Die Inspiration dafür bot Zofingen.

Der Oftringer Comicautor Matthias Gnehm in seinem Atelier in Zürich-Wiedikon. Hinter ihm hängen Seiten seiner neuen Graphic Novel «Gläserne Gedanken». (Bild: Ilir Pinto)
Parallelen zwischen seinen Comics und der Realität
Wieso nennt Gnehm die Stadt in der Graphic Novel nicht bei ihrem richtigen Namen? Er zeichne heute aus der Erinnerung heraus – und nicht von Fotos ab. Somit entstehen fiktive Schauplätze, die echten Ortschaften ähneln. «Ich lasse Erinnerungen und Sinneseindrücke, die mir geblieben sind, in meine Geschichten einfliessen», erklärt Gnehm. So kommt es zu Parallelen zwischen seinen Comics und der Realität: Wie Gnehm ist seine Hauptfigur Autor. Dessen Vater arbeitete für eine Chemiefabrik in Zoldingen – unterdessen arbeitete Gnehms Vater für die Siegfried AG in Zofingen. Nichtsdestotrotz: Seine Geschichten seien nicht autobiographisch, so Gnehm, sondern «autoemotionale Fiktion».
«Gläserne Gedanken» entstand innerhalb von drei Jahren. Das eigentliche Zeichnen geschah im letzten. «Am Anfang schreibe und recherchiere ich», sagt Gnehm. Dabei zeichne er höchstens Skizzen – er zeigt eine von der Figur Annina. Auf der Skizze sieht sie anders aus als im Endprodukt. Nach dem Konzipieren überträgt Gnehm seine handschriftlichen Notizen in ein Layoutprogramm. Dort tippt er die Texte ein und teilt sie den Panels zu. Und erst am Ende kommt das Zeichnen. Gnehm zeigt sein Werkzeug: Kreide, Bleistift und Rasierklinge. Ende Januar hat er «Gläserne Gedanken» fertiggestellt, welches sein Verlag, Edition Moderne, nun veröffentlicht hat.
Der Verfasser dieses Artikels hat «Gläserne Gedanken» gerne gelesen, es ist eine clevere Geschichte. Die inneren Monologe der Hauptfigur sind brillant und die Figuren lebhaft und reich an exzentrischen Details. Die aufwändig hergestellten Zeichnungen runden das Lesevergnügen ab.

Im Buch hat es einen QR-Code, damit man die Graphic Novel auf seinem Handy abrufen kann. Ihr spezielles Format lässt sich gut auf einem Smartphone lesen. (Bild: Ilir Pinto)