In Haldi bei Schattdorf werden die letzten Szenen des ersten Langfilms von Leon Schwitter gedreht. Der Film des 26-jährigen Murianers spielt in der Gegenwart, auch wenn der Titel «Réduit» anderes erwarten lässt. Die Geschichte ist teilweise autobiografisch und soll gegen Ende Jahr veröffentlicht werden.
Es ist richtig kalt und verschneit in Haldi bei Schattdorf, doch Leon Schwitter und sein Team lassen sich nichts anmerken. Er ist 26 Jahre alt, geboren in Lenzburg, aufgewachsen in Muri. Heute ist er Regisseur, Drehbuchautor und Produzent. Hier oben dreht der junge Mann mit Schnauz und weisser Kappe seinen ersten Film. Es braucht viel Engagement, um das in den Urner Alpen bei Minustemperaturen zu tun, geht mir durch den Kopf.
Durch den Schnee stapfend, trotzen sie der Kälte und gehen ihrer Arbeit nach. Das Zürcher Filmkollektiv Exit, das vom Murianer mitgegründet wurde, scheint ein eingespieltes Team zu sein. Nachdem Schwitter mich freundlich willkommen geheissen hat, führt er mich durch einen steilen Waldweg und erklärt: «Wenn alles gut und nach Drehplan läuft, haben wir in ein paar Tagen alle Szenen im Kasten.»
Danach stünde noch die Post-Produktion an, ergänzt er. Geplant sei die Veröffentlichung seines ersten Langfilms mit dem Titel «Réduit» gegen Ende Jahr. Die Vorfreude steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Die Hütte musste für den Film renoviert werden
Als wir bei einer Hütte mitten in der schneebedeckten Urner Bergwelt ankommen, erklärt Schwitter: «Der Bauer, dem die Hütte gehört, hat sie uns zur Verfügung gestellt. Wir haben sie renoviert und nutzen sie jetzt für den Dreh.»
Wir betreten sie und gehen ins Wohnzimmer. Darin stehen ein Bücherregal, ein kleiner Holzofen, ein Schreibtisch und zwei Lehnsessel. Es ist so eingerichtet, als würde dort jemand leben – doch es ist alles nur Kulisse.
Als ich Schwitter auf die Bücher anspreche, zeigt und erklärt er mir gleich mehrere der Dinge, die in der Hütte aufzufinden sind: Romane von Herman Hesse, Schallplatten von Pink Floyd sowie ein Foto von einem Vater mit seinem Sohn. Alles mit viel Liebe zum Detail bewusst gewählte Requisiten.
Schon früh begeistert vom Filmemachen
Wie kam es dazu, dass ein Murianer in den Urner Alpen einen Film dreht? Schwitter beginnt zu erzählen: «Als kleiner Bub haben mir meine Eltern das Fernsehen nicht erlaubt. Aber als ich acht wurde, durfte ich endlich. Für mich eröffnete sich damit eine neue Welt.» Und er ergänzt: «Dass man mit Bild, Ton, Bewegung und Licht eine Geschichte erzählen kann, faszinierte mich.»
Schmunzelnd erzählt Schwitter, dass er im Alter von 12 Jahren begonnen habe, selbst Filme zu drehen. Dabei waren seine Inspiration immer sein Umfeld und seine Freunde in Muri.
Danach habe er für seine Maturarbeit an der Kanti Wohlen einen Film gedreht. Ungefähr zu dieser Zeit jobbte er auch im Kino Mansarde in Muri als Operateur. Mit 20 Jahren habe es ihn nach Baden gezogen, wo er im Kulturhaus Royal zu arbeiten begann. Dort kam er mit Kulturschaffenden in Kontakt und meldete sich für ein Filmstudium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) an.
Die Inspiration zu «Réduit» ist teilweise autobiografisch
Während seines Studiums habe er begonnen, das Drehbuch zu «Réduit» zu verfassen, das nun seinen Weg auf die Leinwand findet. Schwitter möchte bezüglich der Handlung nicht zu tief ins Detail gehen, verrät aber: «Es geht um die Beziehung eines Vaters zu seinem Sohn, einem Einzelkind. Die Inspiration für die Geschichte ist teilweise autobiografisch.»
«Réduit» ist ein Drama und spielt trotz seines Titels in der Gegenwart: Der Mittfünfziger-Vater Michael (gespielt von Petter Hottinger) fährt mit seinem Sohn Benny (Dorian Heiniger) für einen kurzen Urlaub in die Berge. Er denkt aber nicht daran, zurückzukehren und will sich in den Alpen zurückziehen. Denn Michael plagen Ängste, er sieht die Gesellschaft vor ihrem Abgrund. Schwitter erklärt: «Der Film soll mit dem Schicksal von Vater und Sohn widerspiegeln, dass ein Ausstieg aus der Gesellschaft nicht so einfach ist.»
Das Filmkollektiv Exit ist unabhängig
Hat also das Aussteigerthema des Films dem Filmkollektiv Exit seinen Namen gegeben? «Nein», antwortet Schwitter. «Auf die Idee für den Namen kam ich in der Zeit, als ich als Kinooperateur gearbeitet habe. Sie kommt vom auffällig leuchtenden Exit-Signal, das in Kinos über dem Notausgang angebracht ist.»
Das Filmkollektiv, das Schwitter mitgegründet hat, ist unabhängig. Die Vorteile davon sind laut Schwitter, dass sie sich zum Filmen viel mehr Zeit nehmen können, das freundschaftliche Beisammensein und die Freiheit. Und die Nachteile? Schwitter erklärt: «Der grosse Nachteil ist, dass es Überzeugungskraft braucht, um an Geld zu kommen. Wir finanzieren uns durch Beiträge des Aargauer Kuratoriums und privaten Spenden.»
So müsste das Filmkollektiv noch einen Verleiher für «Réduit» finden, der den Film an Festivals bringen kann. Und wenn er dort gut ankommt, könnte er es in die Kinos schaffen. Es bleibe zu hoffen, so Schwitter, dass bis dahin die Pandemie vorbei sei, Festivals wieder stattfinden und Kinos wieder Filme spielen dürfen. Und wenn nicht – dabei klopft er auf Holz – werde er ihn bestimmt digital veröffentlichen.
Dreht er als nächstes im Freiamt?
Eine Frage muss Schwitter, der Freiämter, natürlich noch beantworten: Kann er sich vorstellen, einen Film in seiner Heimat Muri zu drehen? Er antwortet: «Die Idee finde ich nicht unspannend. Ich war damals in der Schule eins der wenigen Kinder, die ungetauft waren. Im katholischen Muri bekam man das damals zu spüren.»
Dieser Stellenwert der Religion in einer Gemeinde könnte, so Schwitter, durchaus gutes Material für ein zukünftiges Drehbuch bieten. Doch vorerst liegt Schwitters Fokus auf «Réduit».
Das Gespräch mit ihm in der Hütte war lehrreich und spannend, doch das AZ-Team muss bald los, sonst schaffen wir es nicht auf die letzte Seilbahn runter. Und Schwitter wird bald gebraucht. Seine Kollegen sind schon dabei, die Kamera aufzustellen. Ein grelles Licht beginnt vor der Hütte zu leuchten: Die Scheinwerfer sind an. Der Dreh geht weiter.
Ilir Pinto
30-Jähriger aus Zürich, der die Diplomausbildung Journalismus am MAZ in Luzern mit einem Volontariat beim Zofinger Tagblatt absolviert hat. Aktuell ist er Redaktor und Content Creator bei der Zürcher Kommunikationsagentur Viva.
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